Geschichte

Über 50 Jahre Lebenshilfe Wuppertal – das bedeutet Einsatz für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien.  Als Initiative von Eltern und Fachleuten wurde im März 1960 die damalige „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind“ als zehnter Ortsverband in Deutschland gegründet. Viele Menschen haben im Lauf der fünf Jahrzehnte ihren Beitrag zur erfolgreichen Arbeit der Lebenshilfe geleistet: in der Gründungsphase, in der  Zeit der Entwicklung von Angeboten und Einrichtungen für behinderte Menschen bis in die Gegenwart, in der die Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben zum wichtigen Leitziel geworden ist.

AUF DEM WEG ZUM LICHT

Diesen Satz von Peter Rossegger zitierte Werner Jung in der Gründungsversammlung am 20. Januar 1960. Er wollte damit einen kleinen Kreis Eltern von geistig behinderten Kindern ermutigen und ermahnen, mit ihm zusammen den Verein Lebenshilfe Wuppertal zu gründen. Er – der Direktor einer Sonderschule – und die Eltern als unmittelbar Betroffene wussten um das Schicksal der behinderten Kinder: sobald diese aus der Schule entlassen wurden, erwartete sie ein Leben in der Einsamkeit, im Dunklen und Verborgenen, ausgeschlossen von der Gesellschaft, ohne Chance einer Arbeit nachzugehen und ohne weitere Förderung. Es war an der Zeit, diesen Zustand zu ändern!

Am 9. März 1960 war es dann geschafft, der Verein „Lebenshilfe für das geistig behinderte Kind, Ortsstelle Wuppertal“ nahm als 10. Ortsstelle ( von heute 530 Lebenshilfe-einrichtungen ) seine Arbeit auf.

Bescheiden waren die Anfänge. Eine kleine Webstube, eingerichtet in der Bergstraße in Wuppertal-Elberfeld, gab den Behinderten eine Beschäftigung. Doch die Nachfrage auf einen Beschäftigungsplatz war groß. Schon nach kurzer Zeit waren so viele Neuzugänge erfolgt, dass die Räumlichkeiten aus allen Nähten platzten. Bereits im Jahre 1963 war der Kreis der täglich zu betreuenden Behinderten auf ca. 50 angewachsen. Unter diesen ungünstigen Raumbedingungen war eine differenzierte Arbeit, wie sie für eine gezielte Förderung notwendig ist, nicht mehr möglich, und die Vereinsmitglieder – völlig überrascht von der Resonanz auf ihren Verein – mussten wiederum nach größeren, kostengünstigen Räumen suchen.

Aber der Erfolg auf das bisher Erreichte gab den Ehrenamtlichen den Mut und die Kraft den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Der Erfolg spiegelte sich an ihren Kindern wieder, die begeistert zur Arbeit gingen, einen strukturierten Tag verbrachten, Erfolge erlebten und aufblühten durch Kontakte mit Gleichaltrigen.

Die Mitglieder bewältigten in den ersten 4 Jahren des Lebenshilfevereins alle organisatorischen Aufgaben ehrenamtlich, so auch die Geschäftsführung. Max Schröder, Vater einer behinderten Tochter, übernahm diese Aufgabe. Er knüpfte die notwendigen Kontakte zum Landschaftsverband, zum Paritätischen Wohlfahrtsverband und anderen Geldgebern, bat bei Firmen und Institutionen um Spenden und bemühte sich um Aufträge für die Werkstatt. Zum 01.01.1965 wurde er als Geschäftsführer fest angestellt. Zusammen mit dem Gründer Werner Jung, der bis 1981 als Vorstandsvorsitzender fungierte, wurden die Weichen für unseren heutigen Konzern gestellt. Es gelang dem Verein zum 01.01.1964 einige Räume des ehemaligen Lehrlingsheims in der Heidestraße 72 in Wuppertal -Cronenberg anzumieten. In diesen Räumen wurde die Werkstatt eingerichtet. Die Räumlichkeiten in der Plateniusstraße behielt man bei und nutzte sie als Anlernwerkstatt.

Zum 01.01.1966 wagte der Verein das Risiko, das ehemalige Lehrlingsheim käuflich zu erwerben. Die notwendigen Renovierungsarbeiten am neu erworbenen Eigentum wurden wieder in Eigeninitiative sowohl von den Eltern als auch in vorbildlicher Weise vom Betreuungspersonal geleistet. Außerdem unterstützten Jugendgruppen von Schülern und Studenten aus England, Frankreich, Dänemark, Schweden, Marokko der Tschechei und Deutschland in den Jahren 1965 – 1967 die Renovierungsarbeiten.

Bereits einen Monat nach Erwerb des Hauses wurde am 01.02.1966 im Obergeschoß des Hauses ein Wohnheim eröffnet mit Platz für 28 Behinderte. Wieder gehörte die Lebenshilfe Wuppertal zu den Pionieren: es war das 2. Lebenshilfe-Wohnheim in der Bundesrepublik Deutschland.

Anfang des Jahres 1967 gab eine zweckgebundene Spende in Höhe von DM 20.000,00 den Anstoß zum Bau einer neuen Anlernwerkstatt. In einer Rekordzeit von ca. einem halben Jahr entstand auf dem Gelände in der Heidestr. ein Neubau über 2 Etagen mit 615 m² Nutzfläche. Zum 01.12.1967 war der Neubau bezugsfertig und Anlernwerkstatt, Beschäftigungswerkstatt und Wohnheim auf einem Gelände vereint.

Auf dem bisher Erreichten konnten sich Vorstand und Geschäftsführung nicht langeausruhen. Bereits 1968 begannen sie mit der Planung einer neuen Werkstatt ebenfalls auf dem Gelände in der Heidestraße. Die Konzeption des Neubaus wurde nach den neuesten Erkenntnissen der Pädagogik, Psychologie und Medizin verwirklicht und erhielt neben einer Großküche auch eine Turnhalle und ein Schwimmbad. In dieser neuen Werkstatt sollte den Behinderten nicht nur Arbeit angeboten werden, sondern auch Therapie: Bewegungstherapie in Form von Turnen und Schwimmen oder auch Gestaltungs- und Musiktherapie.

10 Jahre nach Gründung des Lebenshilfevereins, also im Jahre 1970 wurde mit dem ersten Bauabschnitt der neuen Werkstatt begonnen. Der 2. Bauabschnitt konnte Ende1971 begonnen und im Frühjahr 1973 bezogen werden. Die Gesamtkosten beliefen sich auf DM 5 Millionen.

Endlich war Platz im Produktionsbereich für 150 – 200 Behinderte, und diese Werkstatt stand nicht nur den geistig Behinderten offen, sondern auch Menschen mit anderen oder Mehrfach-behinderungen, sofern diese sich in die Werkstattgemeinschaft integrieren konnten. Hinzu kamen ca. 70 Plätze im Anlernbereich.

Nach der Renovierung des ehemaligen Lehrlingsheims standen 50 Plätze im Wohnheim zur Verfügung, die sehr schnell belegt waren. Der Platzmangel, der bisher in der Werkstatt bestanden hatte und der mit der Fertigstellung der neuen Werkstatt endlich behoben war, traf nun die Wohnstätte. In dieser Zeit kam per Zufall Dr. Heinz Wolff – Chefredakteur des General – Anzeigers der Stadt Wuppertal – in den Vorstand der Lebenshilfe. Mittels seiner vielfältigen Beziehungen ebnete er den Weg zum Bau eines 2. Wohnheimes auf dem Gelände Heidestraße.

Durch die Überbelegung gab es im vorhandenen Wohnheim nur 3 oder 4- Bettzimmer und einen großen Aufenthaltsraum für alle gemeinsam. Diese Enge war sehr belastend für die Bewohner. Ein individuelles, selbstbestimmtes Leben konnte hier nicht verwirklicht werden.

Die neue Wohnstätte wurde von Architekt Goedeking in 4 Gruppen für jeweils 10 Personen in Ein- und Zweibettzimmern aufgeteilt, wobei neben dem großen Aufenthalts- und Speiseraum zusätzlich jeder Gruppe ein eigener Gruppenraum mit kleiner Küche zur Verfügung steht. Dieses Wohnheim wird heute vorwiegend von unseren älteren und schwächeren Behinderten bewohnt. Noch während der Bauphase der Wohnstätte II ermöglichte eine Spende der Cronenberger Werkzeugkiste den Kauf des nahe an der Wohnstätte gelegenen Sportplatzes. Der Kaufpreis betrug DM 34.140,00.

1983 – 10 Jahre nach Bezug der neugebauten Werkstatt – waren alle Plätze längst belegt, und es wurde wieder eng in den Gruppen. Von der inzwischen eingerichteten Schule für Behinderte in der Melanchtonstraße strömten jedes Jahr die Schulabgänger zum Teil zur Lebenshilfe und zum Teil ins Troxlerhaus, und man konnte ungefähr kalkulieren, wieviel Neuzugänge in den nächsten Jahren auf die Werkstatt zukommen würden.

Abgänge gab es so gut wie keine. Wer einmal bei der Lebenshilfe war, der wollte auch bleiben. Die “ Firma “ wie noch heute die Einrichtung von vielen Behinderten genannt wird, war und ist zu ihrem Zuhause geworden. Es musste ein Ausweg für die überfüllte Werkstatt gefunden werden. An der Hauptstraße in Wuppertal – Cronenberg stand ein älteres Gebäude, das sog. Bahlsengebäude. Eigentümer des Hauses und der umgebenden Flächen war Erich Küssner. Mit ihm konnte sich die Lebenshilfe einigen und das Gebäude anmieten. Und die Tradition der helfenden Elternarbeit setzte sich fort! Um das Gebäude als Werkstatt nutzen zu können, musste ein neuer Sanitärbereich geschaffen werden, die Elektrik musste erneuert werden, das Dach war undicht, und frische Farbe von Außen und Innen hatte das Haus dringend nötig! Die helfenden Hände, die schon so viel für den Verein bewältigt hatten, waren einen Sommer lang unter der Regie des Elternbeiratsvorsitzenden Erich Ossenberg wieder im Einsatz. Unterstützt wurden sie von einer internationalen Jugendgruppe des IHJD. Nach den Sommerferien 1983 war alles gerichtet, und die Zweigwerkstatt wartete darauf mit neuem Leben erfüllt zu werden. Nach der Umbelegung blieben insgesamt 42 freie Werkstatt-plätze für spätere Neuzugänge frei.

Für die Eltern und freiwilligen Helfer war der Umbau des Bahlsenlagers zur Zweigwerkstatt der letzte große Auftrag. Das bedeutete aber nicht, dass die Eltern sich von nun an ausruhten. Schon seit Ende der 70er Jahre hatten sich Mütter zu dem sog. Mütterkreis zusammen-geschlossen. Sie trafen und treffen sich noch heute das ganze Jahr über alle 14 Tage zum Handarbeiten. Es wird gestrickt, gehäkelt, genäht, gewebt und gestickt, dabei auch erzählt und viel gelacht; ist es doch wohltuend sich mit anderen Müttern auszutauschen. Im Sommer kochen die Mütter Marmeladen und Gelees. Sie stellen Liköre her und wecken Gurken ein. Vor Weihnachten backen sie blechweise Plätzchen. Alle hergestellten Produkte sind zum Verkauf auf dem Adventsmarkt bestimmt. Auch er hat Tradition: über Jahrzehnte hinweg am Wochenende des 2. Advents und seit 2009 vorverlegt auf das Wochenende 14 Tage vor dem 1. Advent werden die Waren zum Verkauf angeboten, ergänzt durch Produkte aus der Werkstatt wie z.B. der patentierte Christbaumständer, Weihnachtsbäume, Christbaum-schmuck, Produkte aus der hauseigenen Metzgerei und eine attraktive Tombola. Hungrig und durstig braucht keiner das Gelände zu verlassen: das Angebot ist vielfältig und verlockend. Auf die Unterstützung von Seiten der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ist verlass. Sie bewältigen den Auf- und Abbau, betreuen die Stände, geben die Gewinne aus, und Behinderte hört man rufen: „Lose zu verkaufen“!

Die Tuffi – Band spielt, Mitarbeiter Darco Slekovec singt, Geschäftsführer Stefan Pauls macht Jazz, der Lebenshilfechor, der Vorwerk Männerchor, der Cronenberger Damenchor, der Kinderchor, sie alle stellten und stellen sich in den Dienst der guten Sache. Am Ende des anstrengenden Wochenendes sind alle Helfer erschöpft, aber auch zufrieden. Ihr Einsatz hatte sich wieder gelohnt!

Einige Väter hatten sich vom 25.11.1983 bis Juni 1998 zu einem Förderverein zusammengeschlossen. Sinn und Zweck des Vereins war, bei Veranstaltungen Speisen und Getränke zugunsten der Lebenshilfe zu verkaufen. Und so zogen sie umher: auf dem Vohwinkler Flohmarkt, dem Heckinghauser Bleicherfest, demWeihnachtsmarkt, dem Sommerfest der Lebenshilfe, der Cronenberger Werkzeugkiste, beim Fußballturnier der Lebenshilfemannschaften u. a. Außer diesen Aktivitäten betrieb der Förderverein den Werkstattladen. Hier wurden Werkstattprodukte der Lebenshilfe Wuppertal und Erzeugnisse aus anderen Lebenshilfewerkstätten angeboten.

Inzwischen plagte den Verein wieder die Sorge, dass zu wenig Wohnstättenplätze zur Verfügung standen. Anhand der Altersstruktur der Eltern konnte ausgerechnet werden, dass in der nächsten Zeit einige Eltern nicht mehr in der Lage sein würden, ihr behindertes Kind selbst zu versorgen. Aber auch von den Behinderten selbst kam der Wunsch, in die Wohn-stätte zu ziehen. Viele Behinderte drängten danach sich als Erwachsene von den Eltern abzu-nabeln und unter der Begleitung der Wohnstättenmitarbeiter(innen) ein eigenständiges Leben zu führen. Der Bau einer 3.Wohnstätte war unausweichlich! Die Stadt Wuppertal stellte ein sehr schön gelegenes Grundstück am Ende der Pflegeheimstraße zur Verfügung. Gebaut wurden50 Plätze aufgeteilt in 5 Wohngruppen. Am 09.12.1983 wurde Richtfest gefeiert, und im Dezember 1984 konnte das Haus bezogen werden. Damit waren insgesamt 133 Wohn-stättenplätze vorhanden.

Dass auch diese nicht ausreichen würden war damals schon abzusehen. Aber zunächst einmal musste gefeiert werden! Auch das kann die Lebenshilfe Wuppertal! Allen voran die Behinderten, die mit ihrer mitreißenden Fröhlichkeit stets für gute Stimmung sorgen.

Nicht nur Karneval, Sommerfest, Weihnachtsfeier; in Cronenberg gab es zusätzlich noch Osterfeuer, Kartoffelfest, Herbstfest, den bunten Abend in den Zoo-Gaststätten und die Jubiläen:

Das 20jährige startete mit einem Betriebsausflug. Gemäß dem Motto: Wir sitzen alle in einem Boot! fuhren Behinderte, Eltern, Mitarbeiter und Vorstand mit dem Sonderzug nach Koblenz und von dort mit dem Schiff nach Winnigen an die Mosel. Beim Festakt am 04.10.1980 in der Stadthalle erhielten Werner Jung und Dr. Heinz Wolff vom Bundesverband der Lebenshilfe die goldene Ehrennadel; Max Schröder und Vorstandsmitglied Wilfried Buntrock die silberne.

Ca. 10 Jahre später am 20.06.1990 erhielt bei seiner Verabschiedung von Wuppertal das langjährige Vorstandsmitglied Henry Reichert die silberne Ehrennadel, und die über Jahrzehnte für die Lebenshilfe tätige Betriebsärztin erhielt bei ihrer Verabschiedung in den Ruhestand 2006 ?? die goldene Ehrennadel.

Das 25jährige Jubiläum stand unter dem Motto: 25 Jahre Lebenshilfe – wir machen weiter! Beim Festakt im gelben Saal der Stadthalle hielt Johannes Rau die Festrede.

Das 30jährige war verbunden mit der Einweihung der neugebauten Zweigwerkstatt und das 40jährige fand auf dem Sportplatzgelände im großen Zelt vom Circus Antoni statt, wo mit Betreuten, Betreuern und Mitarbeitern des Circus ein Programm einstudiert wurde. Es war ein absoluter Höhepunkt als eine Woche lang Schulklassen, Kindergärten und geladene Gäste diese große Circusfamilie erleben durften. Außerdem fand im Zelt am 20.05.2000 die Trauung unsere Schützlinge Marion Sicker und Dieter von der Warth statt.

Ende der achtziger Jahre war es durch viele Neuzugänge in der Werkstatt wieder sehr eng geworden. Besonders die Schreinerei hatte darunter zu leiden, ein Arbeiten zusammen mit Behinderten war kaum möglich. Aus dieser Notlage half Erich Küssner. Nach Gesprächen mit dem Vorstand signalisierte er, dass er sein Grundstück neben der Zweigwerkstatt für einen Neubau zur Verfügung stelle. Entstanden ist eine neue Werkstatt über 3 Ebenen mit Schreinerei, Räumen für 7 Arbeitsgruppen und großem Speise- und Pausenraum. Das neue Gebäude wurde mit dem alten Bahlsengebäude verbunden und hat Zugang von der Haupt- und von der Heidestraße. Bei der Einweihung wurde Erich Küssner zu Ehren eine Tafel enthüllt mit der Inschrift: Diese Werkstätte widmen wir in Dankbarkeit Martha und Erich Küssner. Nach dem Tod von Erich Küssner ging das über 8000 m² große Grundstück in den Besitz der Lebenshilfe über. Der Garten- und Landschaftsbau und der Kartoffelschälbetrieb sind seit 1992 zusätzlich dort ansässig. Am 02.06.1989 konnte in Cronenberg eine weitere Immobilie eingeweiht werden: das Haus Hahnerberger Str 277 war für die sog. Außenwohngruppen erworben worden.

Ein Ziel der Lebenshilfe ist, jeden Behinderten nach seinen Möglichkeiten zu fördern, ihm Hilfe zur Selbsthilfe zu geben auch im Bereich des Wohnens. Nicht jeder Behinderte braucht eine Wohnstätte, in der alles für ihn organisiert wird, wo er sich an den gedeckten Tisch setzen kann. So zogen in dieses Haus an der Hahnerbergerstr. 10 männliche Behinderte, die zusammen mit nur einem Betreuer weitgehend sich selbst versorgen. Gut ein Jahr später wurde das Haus in der Hahnerberger Str. 158 käuflich erworben. Nach der Renovierung gruppierte sich dort eine Außenwohngruppe für Damen.

Diese Außenwohngruppen sind die Vorstufen zum heutigen betreuten Wohnen. Hier wohnt der Bewohner bzw. die Bewohnerin allein oder zu zweit in einer eigenen Wohnung, kann über das persönliche Budget frei verfügen und bekommt bei Bedarf Hilfe von einem Mit-arbeiter. Dank erlernter Selbständigkeit und nach Bewährung in einer Trainingswohnung, leben heute 36 unserer Schützlinge im betreuten Wohnen und es werden noch weitere folgen. Mit den Außenwohngruppen konnte der Ansturm auf die Wohnstättenplätze vorübergehend ein wenig gemildert aber nicht beseitigt werden. Bereits 1993 stand man vor dem Problem, dass alle Wohnstättenplätze vergeben waren, gleichzeitig die Altersstruktur der Eltern den Bedarf von mindestens 100 Plätzen signalisierte und Fördergelder vor dem Jahr 2004 nicht zu erwarten waren. An einen Kauf oder Neubau war somit nicht zu denken, es blieb nur die Anmietung eines oder mehrerer Häuser. Folglich wurde Kontakt mit der GWG, der gemein-nützigen Wohnungsbaugesellschaft, aufgenommen. Und damit schien ein Investor gefunden. Die GWG besaß in Cronenberg am Ende des Mastweges ein 34.000 m² großes Areal, das allerdings als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen war. Ca. 10 000 m² davon sollten für Wohnzwecke umgewidmet werden, und auf diesem Gelände wollte die GWG 4 Häuser mit jeweils 5Wohnungen für Behinderte bauen, die von der Lebenshilfe preisgünstig angemietet werden könnten. Der Landschaftsverband wurde in die Planungen einbezogen und alle Anforderungen des Landschaftsverbandes konnten erfüllt werden. Anschließend wurde das Objekt über die Bezirksvertretung der Öffentlichkeit vorgestellt und löste eine Lawine aus: Umwelt- und Naturschützer gingen auf die Barrikaden! Angeblich handelte es sich bei diesem Grundstück um das wertvollste Rückzuggebiet für Reptilien im gesamten Gelpetal. Außerdem würde durch den Bau der Wildbestand zurückgedrängt werden. Als dann auf dem Weihnachtsbasar der Lebenshilfe 1995 eine Unterschriftsaktion für den Bau der Mastweghäuser gestartet wurde, formierte sich eine Bürgerinitiative Mastweg gegen den Bau. Die Zeitungen waren gefüllt mit Leserbriefen von beiden Lagern. Erst als feststand, dass es keine Alternative zum Projekt Mastweg gab, billigte der Rat im Januar 1996 das Projekt und endlich konnte der Bau verwirklicht werden. Bei der Einweihung der ersten beiden Häuser am 23.10.1999 – verbunden mit dem Herbstfest der Lebenshilfe – kamen viele Gäste zur Besichtigung. Sie sahen sich staunend um und kamen zu dem Urteil: “ Hier würde ich auch gerne wohnen! “ In den Genuss am Mastweg zu wohnen kamen auch die Bewohner der Wohnstätte 1in der Heidestraße. Das ehemalige Lehrlingsheim dient jetzt der Verwaltung. Heute sind die Mühen um das Projekt Mastweg vergessen, und einmal im Jahr feiern die Anwohner des Mastweges zusammen mit den Bewohnern des Wohnparks der Lebenshilfe Mastweg ein Straßenfest und beweisen damit, dass Integration hier stattgefunden hat.

Von den Anfängen der Lebenshilfe an wurden für die Behinderten auch Freizeiten organisiert. Sie dienen nicht nur der Erholung, sondern auch dem besseren Kennenlernen und Verstehen untereinander. Viele Ziele in Deutschland und auch im Ausland wie z. B. Holland, Tschechien, Mallorca konnten unsere Schützlinge kennenlernen. Anfang des Jahres 1997 kam die Stadt Wuppertal mit einem Angebot auf die Lebenshilfe zu: Die Stadt Wuppertal unterhielt in vergangenen Jahren auf der Insel Norderney ein Kinderkurheim und fragte bei der Lebenshilfe an, ob sie dieses Haus für ihre Freizeiten mit Behinderten nutzen wolle. Aber auch dieses Haus war sehr renovierungsbedürftig und außerdem nicht für Rollstuhlfahrer geeignet. Diesen Umbau und eine neue Inneneinrichtung musste der Verein leisten. Der Gedanke, unseren Behinderten Urlaub auf Norderney zu ermöglichen, überwog vor den finanziellen Strapazen. Der Vertrag kam zustande. Nach langen Umbaumaßnahmen wurde später als geplant am 05.05.2000 die Einweihung des Ferienhotels auf der Insel gefeiert, und drei Tage später durften die Bewohner der Wohnstätte II die erste Freizeit im Ferienhotel genießen, der noch weitere folgten. Leider veräußerte die Stadt Wuppertal die Immobilie nach Ablauf des Pachtvertrages und die Lebenshilfe erhielt, obwohl sie unter den Mitbietern war, nicht den Zuschlag.

Mitte des Jahres 2002 begann eine schwere Zeit für die Lebenshilfe Wuppertal. Der Verein kam, ausgelöst durch eine anonyme Anzeige gegen den damaligen Geschäftsführer, in negative Schlagzeilen. Vorstandsvorsitzender Werner Hahn, seine Mitstreiter und die gesamte Lebenshilfemannschaft waren schockiert. Sie mussten nicht nur einen Vertrauensbruch bewältigen, sondern auch mit Kraft und Durchhaltevermögen viel recherchieren, aufklären und einiges auch korrigieren bis der Lebenshilfe Wuppertal wieder Ansehen und Wertschätzung entgegengebracht wurde. Mit der Einstellung von Stefan Pauls als neuen Geschäftsführer konnte der Neuanfang erreicht werden.

In der Phase des Umbruchs wurden unwirtschaftliche Betätigungszweige, wie z. B. die Land- und Milchwirtschaft, wieder aufgegeben und außerdem beschlossen, dass der Standort der Lebenshilfe in Wuppertal – Cronenberg bleiben wird. Seitdem ist an den Gebäuden in der Heidestr. viel renoviert worden: die Werkstatt erhielt ein neues Dach, neue Fenster, eine neue Heizungsanlage und einen neuen Anstrich. Das blaue Logo der Lebenshilfe ist jetzt von weitem zu erkennen. Das Verwaltungsgebäude ist nun auch für Rollstuhlfahrer leicht zu erreichen, die ehemalige Anlernwerkstatt, die 1967 gebaut worden war, wurde im Jahr 2006 komplett umgebaut. Entstanden sind behagliche Räume für die Gruppe der Schwerstmehrfachbehinderten. Und die in 2010 neugestalteten Außenanlagen laden zum Verweilen ein.

Heute, 50 Jahre nach Gründung der Lebenshilfe Wuppertal, lautet unser Motto: „Mitten im Leben“! Das wollen wir verwirklichen. So hat z. B. im Mai dieseas Jahres eine Gruppe unserer zu Betreuenden in einem Supermarkt den Kunden beim Einpacken ihrer Waren geholfen, was großen Anklang fand. Damit wurde wieder eine kleine Barriere zwischen Nichtbehinderten und Behinderten abgebaut, und mit jedem dieser Schritte kommen wir auf unserem Weg dem Licht wieder ein kleines Stück näher!